Die Mödlingerin

„Die Mödlingerin war blind, hatte Brustkrebs und war glücklich.“ Agatha Eder, ehrenamtliche Hospizbegleiterin

Die Mödlingerin, wie sich Marianne M. gerne selbst nannte, war für mich eine außergewöhnliche Frau. Seit Dezember 2018 begleitete ich sie als ehrenamtliche Hospizbegleiterin bei ihr zu Hause und später im Heim im Sozialen Kompetenzzentrum Rum. In dieser Zeit erzählte sie mir viel aus ihrem Leben, das ich mit ihrer Erlaubnis gerne weitergeben möchte.

Die Mutter war die Wärme

Marianne wurde als ältestes Mädchen von neun Kindern in Kufstein geboren. Ihr Vater war Geschäftsmann, hat aber, wie sie selbst sagte, „alles verspielt“. Er starb früh und ganz plötzlich, und so hatte die Mutter viel Mühe, die große Kinderschar zu versorgen. Marianne erzählte immer wieder, dass sie eine karge, aber schöne Kindheit gehabt hätten. Lächelnd meinte sie: „Meine Mutter war die Wärme.“ In ganz besonderer Erinnerung blieben der 97-jährigen Marianne die Weihnachtsfeiern. Der Baum wurde aus dem Wald geholt, Mutter backte einen Gugelhupf und Marianne wünschte sich sehnlichst eine Puppe. Einmal zu Weihnachten wurde ihr Wunsch dann Wirklichkeit. Die Mutter hatte aus Holz eine Puppe selbst geschnitzt und bemalt. Für sie war es die allerschönste Puppe, die sie sich vorstellen konnte.

Kriegsdienst, Kinderbetreuerin und Model in Prag

Als der Krieg begann, war Marianne 14 Jahre alt und wurde auf eine Internatsschule nach Tschechien geschickt – eine gute Zeit für Marianne mit vielen neuen Erfahrungen. Aber dann wurde sie leider zum Kriegsdienst zurück nach Kufstein geholt und zu Kurierfahrten für die Wehrmacht eingeteilt. Das sei für sie, als doch noch sehr junges Mädchen, eine große Mutprobe gewesen. Die Fahrten, bei denen sie sogar Bombenangriffen ausgesetzt war, führten sie vom Hauptquartier in Kufstein nach Dresden, München, Stuttgart und an andere ferne Orte. Als der Krieg endlich vorbei war, war sie in verschiedenen Bereichen tätig, unter anderem als Kinderbetreurin und sogar als Model in Prag.

Als die Mutter starb, wäre ihr Herz fast zersprungen

Als ihr Sohn Peter geboren wurde, musste Marianne in der Schweiz ihr Geld verdienen, um die kleine Familie erhalten zu können. Möglich war das nur, weil ihre Mutter den kleinen Peter versorgte. Doch dann traf sie ein schwerer Schicksalsschlag: Die Mutter verstarb an Herzschwäche. Sie ließ sich diesen und viele weitere Verluste nach außen nicht anmerken, aber „das Herz“ sei ihr „dabei fast entzwei gesprungen“. Geweint habe sie immer nur für sich alleine, was ihr oft als Härte ausgelegt worden sei.

Wirtin, Alleinerzieherin und leidenschaftliche Leserin

Da sie nicht mehr zur Arbeit in die Schweiz konnte und ihren Sohn versorgen musste, versuchte sich Marianne als Gastronomin und war darin sehr erfolgreich. Sie führte das Scotch im Sieglanger und das Café Niedermair in Innsbruck und zog nebenbei ihren Sohn alleine groß. Wenn ein wenig Zeit übrig blieb, war das Lesen ihr große Leidenschaft. Als sie später fast erblindete, war es ein Vergnügen für sie, wenn ich ihr vorlas. So las ich ihr Balladen, Biografien oder Märchen vor. Stets war sie eine wache und aufmerksame Zuhörerin.

Blind, an Brustkrebs erkrankt und trotzdem glücklich

Mit 94 Jahren meinte sie bei einem meiner Besuche: „Es gibt immer wieder Zeiten im Leben, in denen man glücklich ist. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich blind bin und dass ich Brustkrebs habe. So geht es mir damit besser. Ja, ich kann sagen, dass ich glücklich bin. Ich habe eine gute Betreuung und meinen Sohn, der so gut auf mich schaut“. Marianne wurde von ihrem Sohn Peter betreut und auch gepflegt. Seit Oktober 2018 wurde sie außerdem vom Mobilen Palliativteam der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft und drei Mal in der Woche im Tageshospiz mitbetreut.
Im März 2021 zog „die Mödlingerin“ ins Wohnheim Soko Rum um. Am 4. Juni fand ihr Leben seine Vollendung. Ihr Sohn Peter war bei ihr.

Agatha Eder, ehrenamtliche Hospizbegleiterin Hospizteam Innsbruck-Land

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