Am Meeresgrund der Trauer

Was verstehst du unter Trauer? Ist Trauer für dich mehr ein Gefühl, ein Prozess oder beides?

Maria Streli-Wolf: Traurig sein ist ein Gefühl. Es tritt auf, wenn man etwas nicht bekommt, was man gerne hätte. Ist es ein sehr großer Verlust, der tiefe Spuren hinterlässt, dann ist Trauer auch ein Prozess, wie beim Tod eines nahen Menschen oder nach einer Trennung. Es braucht diesen Prozess, der mit vielen verschiedenen Gefühlen einhergeht, um mit dem Verlust umgehen und leben zu lernen.

Nach dem Tod eines geliebten Menschen kann das Gefühl am Anfang so stark sein, dass es einen überwältigt. Eine Frau hat mir vor Kurzem erzählt, dass sich die Trauer für sie anfühlt, als ob sie am Meeresgrund liegen würde. Sie meinte, es ginge gar nichts mehr. Für viele ist die erste Zeit mehr ein Überleben als ein Leben.

Auch das Bild einer Welle im Meer kann hilfreich sein. Das heißt, die Trauer kommt und geht in Wellen und jede Welle geht durch einen hindurch. Wie die Wellen am Strand kommen und gehen, so kommt und geht die Trauer. Mit der Zeit werden die Wellen weniger und sanfter.

Wie individuell ist Trauer? Gibt es Gemeinsamkeiten, die viele Menschen erleben, oder verläuft jeder Trauerprozess einzigartig?

Maria Streli-Wolf: Sie ist einzigartig wie jeder Mensch. Am Anfang allerdings erleben Trauernde mehr Ähnlichkeiten, insbesondere vom Moment des Todes bis zum Begräbnis. In dieser Zeit ist zum einen viel zu organisieren, und das hilft, die große Ohnmachtserfahrung des Verlusts besser auszuhalten. Nach dem Begräbnis, wenn es zeitnah nach dem Tod stattfindet, fängt eine neue Phase an. Dann wird der Verlust im Alltag spürbar, und das ist oft schwierig. Der weitere Weg zurück ins Leben ist sehr unterschiedlich – so wie wir Menschen eben sind. Und doch gibt es auch hier Themen, die viele Trauernde beschäftigen: Trauere ich zu viel, zu wenig, zu intensiv, mache ich etwas falsch, ist das normal? Darf es mir in der Zeit der Trauer auch gut gehen?In der Begleitung von Trauernden geht es darum, im Gespräch herauszufinden, was für diesen Menschen richtig ist. Brauche ich gerade mehr Ruhe oder etwas Ablenkung, sozusagen eine Pause von der Trauer? Es gilt herauszufinden, was mir hilft, den Verlust zu begreifen und damit leben zu lernen.

Was hilft Trauernden am meisten? Gibt es bestimmte Rituale, Gespräche und Handlungen, die du empfiehlst?

Maria Streli-Wolf: Den verstorbenen Menschen zu sehen, hilft den meisten Menschen, die Wirklichkeit des Todes zu begreifen, und ist somit ein wichtiger Bestandteil eines Trauerprozesses. Rituale rund ums Abschiednehmen, ob direkt am Totenbett oder beim Begräbnis oder einer Verabschiedungsfeier, unterstützen viele, weil sie die dabei erfahrene Gemeinschaft als sehr tröstlich erleben.

Natürlich hilft, wenn man Menschen hat, mit denen man reden kann und vor denen man sich nicht immer zusammenreißen muss. Bewegung in der Natur kann eine große Quelle der Kraft sein. Auch alltägliche Tätigkeiten wie Kochen, Handwerkern, Schreiben und Malen, etwas mit den Händen zu machen, zu arbeiten oder einfach nur den Alltag zu bewältigen, helfen dabei, vom Meeresgrund der Trauer wiederaufzutauchen.

Was viele Trauernde freut, ist, wenn man ihnen am Geburtstag, zu Weihnachten oder am Todestag ein Zeichen schickt, dass man an sie denkt.

Viele Menschen sind unsicher, wie sie mit Trauernden, denen sie zufällig begegnen, umgehen sollen. Was empfiehlst du in einem solchen Fall?

Maria Streli-Wolf: Es kommt auf die Situation an. Wo bin ich gerade und wie nah steht mir der oder die Trauernde? Manche Trauernde fühlen sich übersehen, wenn sie nicht auf ihren Verlust angesprochen werden. Ein anderes Mal möchten sie nicht angesprochen werden, geschweige denn über ihren Verlust reden. Mit beidem muss man rechnen. Diese Unvorhersehbarkeit erleben viele Trauerende. Ihre Bedürfnisse wechseln oft schnell und sind für sie und ihr Umfeld oft überraschend. Das macht es manchmal schwierig. Hier sollte man Trauernden gegenüber großzügig sein, denn sie sind es, die gerade eine schwierige Zeit durchmachen.

Allerdings zeigt meine Erfahrung, dass die meisten Trauernden bei einem ersten Aufeinandertreffen eine kurze Beileidsbekundung schon schätzen. Ein kurzes „Ich habe gehört, dass deine Frau verstorben ist – das tut mir leid“ ist dabei oft völlig ausreichend. Es geht darum, den Verlust nicht zu übergehen.

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