Bad Boy

Ein tiefes Brummen und lautes Knattern dringt von draußen ins Hospizhaus und übertönt das Vogelgezwitscher. Es klingt ganz anders als die Hubschrauber, die regelmäßig am Dach des Haller Krankenhauses in unserer Nachbarschaft landen, irgendwie bedrohlich. Irritiert und neugierig, was denn da los ist, gehe ich von meinem Arbeitsplatz nach draußen vors Haus.

Die Männer vom Outsider MC Innsbruck vor dem Hospizhaus
Die Männer vom Outsider MC Innsbruck

Zehn schwere Jungs

Angerollt kommt eine zehnköpfige Motorradgang mit ihren schweren Maschinen. „Was wollen die hier?“, frag ich mich. Hat das Navi sie vielleicht irrtümlich zum Hospizhaus geleitet? Kommt ja immer wieder vor, dass Menschen vom Navi an Orte geführt werden, an die sie gar nicht wollten. Ob die tatsächlich zu uns wollen?

Doch dann bleibt die ganze Truppe mit ihren schweren Maschinen vor unserem Haus stehen, zehn Männer in schwarzer Ledermontur und mit großflächig tätowierten Unterarmen ziehen ihre Helme vom Kopf und winken jemandem breit grinsend zu.

Bernhard, ein Patient von uns, sitzt in einem Rollstuhl draußen im Hospizcafé und strahlt übers ganze Gesicht. Die Begrüßung gilt also ihm. „Wie nett“, denk ich mir, „die kommen offensichtlich, um Bernhard an diesem sonnigen Frühlingstag im Hospizcafé zu besuchen.“

Bernhard beim Einsteigen ins Beiwagerl, wo er Hilfe braucht.
Mit letzten Kräften ins Beiwagerl

Mit letzten Kräften ins Beiwagerl

Fürs Kaffeetrinken bräuchte es aber nicht die beiden Krankenpflegerinnen Bettina und Marion, die die Gäste offensichtlich schon erwartet haben. „Nix da, Saftl und Kaffee kann später getrunken werden, jetzt geht’s einmal mit dem Motorrad auf eine letzte Tour“, meinen Bernhards Freunde. Die Überraschung ist perfekt. Die Männer vom Outsider Innsbruck Club sind gekommen, um mit ihrem Freund und Clubkollegen eine letzte Ausfahrt von Hall über die Dörfer Absam, Thaur und Rum nach Innsbruck ins Clublokal unter den Viaduktbögen zu machen.

Bernhard beim Losfahren auf dem Weg vom Hospizhaus

Den Wind der Freiheit im Gesicht

Und so steigt Bernhard, sichtlich ausgezehrt von seiner Krankheit, gestützt von seinen Freunden, Bettina und Marion, ein letztes Mal aufs Motorrad. Ein bisschen Wehmut schwingt schon mit, weil er die Maschine nicht mehr selbst fahren kann und im Beiwagerl Platz nehmen muss. „Aber das Gefühl der Freiheit, der Wind im Gesicht, der Geruch von Frühling in der Nase, die Straße unter mir – einfach unbeschreiblich. Pures Glück“, erzählt Bernhard später. „Nachher war ich fix und foxi“, sagt er, „nicht nur, weil es körperlich anstrengend, sondern auch weil es wie ein Rausch, aber ein Rausch der Gefühle war.“ Von dem Rausch muss sich Bernhard erst einmal erholen. Denn er braucht noch Energie für sein nächstes letztes Projekt.

Ein letztes Tattoo – eine geballte Faust

Ein paar Tage später möchte ich Bernhard in seinem Zimmer auf der Palliativstation im Hospizhaus besuchen. Ich frage bei einer Kollegin, ob es gerade passend sei. „Ja, ja“, meinte sie, „geh ruhig rein, es ist grad der Tätowierer bei ihm.“ Ich muss schmunzeln. Regelmäßig kommen zu uns ins Hospizhaus Frisör*innen oder vielleicht auch einmal Fußpfleger*innen. Aber tätowiert wurde noch nie bei uns. Ich klopfe an der Tür, von drinnen ertönt ein kaum hörbares „Herein“. Bernhard liegt im Bett und einer seiner Freude „bearbeitet“ mit dem Tatowiergerät gerade seinen Kopf. Ich glaube, ein Herz zu erkennen, und frage, ob es denn ein Herz werden würde. „Ein Herz?“ Bernhard schüttelt schmunzelnd und ungläubig den Kopf. „Eine geballte Faust wird’s werden“, erklärt er mir. „Und über meinem rechten Auge, und wenn es das allerletzte Tattoo sein soll, wird noch ‚Bad Boy‘ geschrieben.“

Es sollte sein letztes Tattoo bleiben. Bernhard ist am 24. Mai auf der Hospiz- und Palliativstation gestorben.

Maria Streli-Wolf, Öffentlichkeitsarbeit und Leiterin Kontaktstelle Trauer

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