Über die Hilfe von oben

Unterwegs mit dem mobilen Palliativteam der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft

Das Navi im Dienstauto zeigte scheinbar unbeirrt den Weg zur eingegebenen Adresse, doch am „Zielort“ angekommen, konnten wir die gesuchte Hausnummer nicht finden. Da sich unter der Handynummer der Patientin niemand meldete und auch die leicht gestresste Koordinatorin im Büro nicht weiterhelfen konnte, blieb nur die Möglichkeit, die Hinterhöfe und versteckten Ecken zwischen den Wohnblöcken abzusuchen. „52b, da hinten neben der Garageneinfahrt“, hörte ich nach einigem Suchen meine Kollegin von der Krankenpflege sagen. Wir läuteten. „Ja?!“, tönte es barsch aus der Gegensprechanlage. „Schwester M. vom mobilen Palliativteam.“ „5. Stock!“, hörten wir noch undeutlich, bevor das scheppernde Geräusch des Türöffners zu vernehmen war. Frau G. empfing uns persönlich an der Wohnungstür und musterte uns von oben bis unten.

„Ah, die Leute vom Palliativteam. Kommen Sie!“

„Aber Schuhe draußen ausziehen“, krächzte sie im Befehlston und führte uns in ihr kleines, düsteres Wohnzimmer. Das niedere Tischchen quoll über von diversen Zeitungen, Medikamentenschachteln und Zigarettenpackungen. In der Mitte thronte ein blecherner Aschenbecher, der mit ausgedrückten Zigarettenstummeln und einer angerauchten, noch brennenden Zigarette bestückt war, die Luft in hohem Maße nikotingeschwängert.

„Wollt ihr Wasser oder Kaffee?“, tönte Frau G.s Stimme aus der Kochnische. „Nein danke, aber ist es vielleicht möglich, das Fenster aufzumachen?“, fragte ich vorsichtig. Frau G. wuselte mit einer Tasse Kaffee in der Hand zurück ins Wohnzimmer und ließ sich mit einem deutlich vernehmbaren Ächzen auf das fleckige Sofa fallen. „Draußen ist es kalt, Fenster mach ich keines auf. Aber ich kann ja die Zigarette ausmachen, … wenn’s denn sein muss.“ Mit säuerlichem Gesichtsausdruck nahm die Krankenschwester das zur Kenntnis, auch wenn die Maßnahme kaum zur Verbesserung der Luftqualität beitragen würde.

Frau G. litt schon seit einiger Zeit an einem Lungenkarzinom

Nach einem ausführlichen Gespräch über die bestehenden Symptome – hauptsächlich die zu erwartende beträchtliche Atemnot, die aber mit Medikamenten bisher erstaunlich gut eingestellt war – lenkte die Krankenschwester das Gespräch in Richtung Unterstützung durch Angehörige oder einen Pflegedienst. „Krankenpflegerin brauche ich keine, waschen kann ich mich schon noch selber“, meinte Frau G., „und das Essen bringt man mir aus dem Café Brigitte gegenüber, … hab’ ich alles organisiert.“ „Bekommen sie auch Unterstützung durch Ihre Tochter?“, erkundigte ich mich und erhielt einen belustigten Blick von der ausgezehrten, durch ihre Krankheit deutlich gezeichneten Frau. „Mit der habe ich schon lange keinen Kontakt mehr. Ich bin froh, wenn sie sich nicht blicken lässt.“ „Gibt es Unterstützung aus ihrem Freundeskreis, kauft jemand ein, kommt gelegentlich jemand zu Besuch?“ „Die Hilde geht für mich einkaufen, eine alte Freundin von früher. Wir haben im Café Brigitte immer miteinander Karten gespielt. Die bringt auch die Wäsche in die Putzerei und macht ein bisschen sauber in der Wohnung.“

Mit dem Bodenpersonal hab ich nie viel anfangen können

Ich ließ, wie ich das immer gerne mache, den Blick durchs Wohnzimmer schweifen und entdeckte ein hölzernes Kruzifix im Herrgottswinkel. „Und wie ist der Kontakt zu ihm da oben?“, wollte ich wissen, indem ich auf das verstaubte Kreuz wies. Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht von Frau G. und sie ließ sich mit der Antwort etwas Zeit: „Funkstille würde ich sagen. Er hat mich in letzter Zeit nicht gerade gut behandelt. Ich hab’ eine Scheißzeit gehabt. Dass er gut auf mich aufgepasst hätte, kann ich nicht gerade behaupten.“ „War der Kontakt früher besser?“, wollte ich weiter wissen. „Ja, schon. Also nicht, dass ich in die Kirche gegangen wäre, nein, mit dem Bodenpersonal hab ich noch nie viel anfangen können. Aber gesprochen hab ich schon mit ihm da oben. Das hat mir auch gutgetan.“ Ich ließ noch immer nicht locker: „Und besteht Hoffnung, dass die Funkstille wieder aufgehoben werden kann?“ „Meinen Sie, dass es einen Versuch wert wäre?“, fragte Frau G. und schaute mich mit einem verschmitzten Lächeln an. „Naja, … ich denke, irgendwann werde ich ihn schon wieder anrufen. Mal sehen, ob er dann überhaupt noch abnimmt oder eh nichts mehr zu tun haben will mit mir.“

Michael Kerber, Arzt im mobilen Palliativteam

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