Ein Haus beginnt man mit dem ersten Stein zu bauen

Angelika Feichtner und Inge Mayer waren Hospizpionierinnen in Tirol. Angelika Feichtner war die erste hauptamtliche Diplomkrankenpflegerin, Inge Mayer erste Ärztin in der Hospiz-Gemeinschaft. Gemeinsam erinnern sie sich an die ersten Schritte vor dreißig Jahren.

Angelika Feichtner (am Foto links) und Inge Mayer – im Gespräch

Angelika Feichtner:

Während eines Seminars in der Schweiz bei einem Schüler von Elisabeth Kübler-Ross ist der Funke auf mich übergesprungen. Ich wusste, dass ich in den Hospiz- und Palliativbereich wechseln
wollte. Ich hörte von einer kleinen Gruppe, die damit beginnen wollte, Hospizangebote in Tirol aufzubauen, und traf bei einer der ersten Zusammenkünfte unter anderem auch Felix Egger aus dem Stubaital. Er war Maurer und wollte sich als ehrenamtlicher Hospizbegleiter engagieren. „Wie kann das gehen? Wie sollen wir anfangen?“, fragte ich mich und auch ihn. Worauf Felix meinte: „Schau Angelika, ich bin Maurer. Du musst immer mit dem ersten Stein beginnen. Du kannst nicht gleich eine fertige Mauer haben.“

Inge Mayer:

Ich war damals praktische Ärztin in Innsbruck und es war üblich, Patient*innen mit einer Krebserkrankung einer anderen schweren Erkrankung zum Sterben in die Klinik zu schicken. Damals habe ich mich aber entschieden, eine Patientin zu Hause zu betreuen. Ein Kollege, dem ich von meinem Vorhaben erzählte, meinte, ob ich nicht Angst hätte, wegen unterlassener Hilfeleistung anzeigt zu werden. Ich entschied mich dennoch dafür. Es war ein schönes Erlebnis, diese Patientin und ihre Familie zu Hause zu begleiten. Davon beeindruckt, erzählte ich es meiner Bekannten Marina Baldauf, die mich wiederum einlud, mich einer Gruppe anzuschließen, die eine Hospizbewegung in Tirol aufbauen wollte.

Angelika Feichtner:

Es gab in meiner Wahrnehmung in dieser Gruppe zwei Strömungen. Die einen meinten: „Wir brauchen ein Haus, damit wir anfangen können“, und die andere Hälfte meinte: „Wenn wir warten, bis wir ein Haus haben, dann fangen wir nie an.“ Wir entschieden uns für Zweites und so kam es, dass Inge als Ärztin, eine Handvoll Ehrenamtlicher, Arnold Schett als Geschäftsführer und ich mit dem mobilen Hospizteam starteten.

Inge Mayer:

Für die Betreuung zu Hause war eine gute Schmerztherapie das Um und Auf. Anfang der 1990erJahre war ich eine der wenigen, die bereit war, auch Suchtgift zur Schmerztherapie zu verschreiben. Viele Ärzt*innen wollten das damals noch nicht, weil Morphium ja süchtig macht. Für uns stand aber bei sterbenden Menschen eine optimale Schmerzbehandlung im Vordergrund. Ohne eine qualitätsvolle Schmerzbehandlung ist dem Daheimbleiben-Können schnell eine Grenze gesetzt.

Angelika Feichtner:

Wir haben dann ganz einfache Informationszettel auf der Klinik verteilt und bald kam auch schon die erste Anfrage von der Chirurgie in Innsbruck. Wir sollten eine Patientin noch am selben Nachmittag übernehmen. Unsere erste Patientin mit einem Tumor war für mich eine sehr beindruckende Frau. Auf alle Fragen hatte die verzweifelte Frau nur eine Antwort: „I will hoam, i will hoam!“ Bei meinem ersten Besuch bei ihr zu Hause traf ich dann auf eine strahlende Frau mit ihrem Dackel im Bett, die unbedingt zum Frühstücken aufstehen wollte. Wegen ihrer Metastasen in der Wirbelsäule wurde uns aber in der Klinik davon abgeraten. Ich kontaktierte Inge und bat sie um Rat, worauf Inge meinte: „Wenn sich die Patientin das zutraut, dann solltest du ihr das auch zutrauen.“ Für die Patientin und ihren Mann war das ein Stück wiedergewonnene Normalität, gemeinsam in der Küche zu frühstücken wie gewohnt. Ohne Inges Unterstützung hätte ich mich das niemals getraut, gemeinsam kann man mutiger sein.

Inge Mayer:

Besonders schön war für mich, wenn wir letzte Wünsche erfüllen konnten. Manchmal waren es große, manchmal ganz kleine. Wir betreuten eine junge Frau mit drei Kindern, sie war aus Italien und hatte ein Melanom, bereits Metastasen und nicht mehr lange zu leben. Eines Tages meinte sie: „Wenn ich mir noch etwas wünschen darf, dann würde ich gerne noch ein letztes Mal nach
Venedig.“ Gemeinsam mit zwei Krankenschwestern konnte sie dann tatsächlich nach Venedig fahren und aufs Meer schauen. Auch an eine andere junge Frau mit zwei Kindern erinnere ich mich gut. Regelmäßig sind die beiden Kleinen mit ihrem Vater zu Besuch gekommen. Es war immer sehr traurig. Sie hatte Magenkrebs und wollte keine Sonde zur Ernährung, weil sie sich aufs Sterben vorbereiten wollte. Eines Tages fragte ich sie, ob sie vielleicht doch noch einen Wunsch hätte. Worauf sie mit leuchtenden Augen antwortete: „Ja, eine Fleischkässemmel!“

Angelika Feichtner:

In den Anfangsjahren im Mobilen Team hatten wir noch kein Auto. Ich war meist mit dem Fahrrad unterwegs. Bei einem meiner Wege zu einem Patienten schüttete es wie aus Kübeln und ich kam vollkommen durchnässt bei ihm an. Er öffnete mir die Tür, bat mich herein, schaute auf meine triefend nassen Kleider und meinte: „Um Gottes willen, Sie holen sich noch den Tod!“ Woraufhin er meinte, dass das so nicht ginge und wir im Mobilen Team doch dringend ein Auto bräuchten. Er hat uns dann tatsächlich unser erstes, gebrauchtes Auto geschenkt. Gemeinsam mit
den Ehrenamtlichen hatten wir in dieser Anfangszeit so viele ermutigende Erfahrungen. Dieser Rückenwind bestärkte uns enorm, unseren Weg mutig weiterzugehen.

Inge Mayer:

Ja, da hast du recht. Es war damals ja noch nicht üblich, mit den Menschen über das Sterben und den Tod zu reden. Vieles wurde wortwörtlich totgeschwiegen. Es war neu, dass wir mit Patient*innen und ihren Angehörigen viel geredet haben: über das Sterben, den Tod und darüber, wie es weitergehen soll. Ich hatte damals eine Patientin – nicht im Hospiz, sondern in meiner Praxis – mit starken Bauchschmerzen. Nach einem Klinikaufenthalt, bei dem sie eine Bauchoperation hatte, bekam ich den Befund von der Klinik zugeschickt, in dem zu lesen war, dass sie inoperablen Krebs hatte. Der Patientin wurde gesagt, es wäre eine Gallenblasenoperation gewesen. Die Patientin wusste davon aber nichts. So konnte sie auch nicht verstehen, warum es ihr auch nach der Operation noch immer so schlecht ging. Ich habe ihr dann behutsam die Wahrheit gesagt und sie war dankbar, dass ich dazu den Mut hatte.

Angelika Feichtner:

Mit den Jahren wurde die Kooperation mit vielen Hausärzt*innen immer besser, immer mehr waren an einer guten palliativen Betreuung in Kooperation mit dem Hospiz interessiert. Mit den Jahren hat sich ein gut funktionierendes Netzwerk mit praktischen Ärzt*innen, vielen Stationen in den Krankenhäusern und auch mit der Schmerzambulanz entwickelt. Nicht zu vergessen ist die große Unterstützung durch die Ehrenamtlichen. Sie waren von Anfang an eine tragende Säule der Hospizbewegung. Schön war auch, dass wir damals mit einer gesunden Portion Unbefangenheit
unterwegs waren. Wir hatten ganz viel Zuversicht und Energie, etwas zu bewegen.

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