Ich bleibe (fast immer) bei dir

„Hinterbliebene haben oft Schuldgefühle, dass sie nicht genug getan haben,“ stellt Christine Haas-Schranzhofer, Pflegedirektorin Tiroler Hospiz-Gemeinschaft fest.

Wenn Menschen mit der Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind, ändert sich ihr Leben meist radikal. Operationen, Therapien und nicht zuletzt die Krankheit selbst verursachen Schmerzen, Übelkeit und sonstige qualvolle Symptome. Die Lebensqualität ist – je nach Krankheitsphase – mehr oder weniger stark beeinträchtigt. Es ist daher gut nachvollziehbar, dass sich auch Zuversicht und Hoffnung immer wieder mit Verzweiflung und Angst abwechseln oder sogar fast gleichzeitig auftreten können. Spätestens dann ist es gut, wenn der kranke Mensch nicht alleine ist. Geteiltes Leid ist zwar nicht halbes Leid, aber fast immer zumindest leichter erträglich.
Meist sind es Partner, Familienangehörige und Freunde, die den Betroffenen zur Seite stehen und sie durch Höhen und Tiefen begleiten. Dadurch beeinflusst die Krankheit leider auch ihr eigenes Leben. Einen geliebten Menschen kämpfen und leiden zu sehen und mit seinen unterschiedlichen Gefühlslagen zurechtzukommen, ist schließlich für alle Beteiligten schwer.

Habe ich wohl genug getan?

Dennoch begleiten viele Angehörige ihre Lieben oft wochen- oder monatelang auf sehr einfühlsame Weise. In dieser intensiven Phase bauen viele eine sehr innige Beziehung zueinander auf. Durch den Umgang mit der Krankheit lernen sie sich auf eine bis dahin unbekannte, ganz besondere Art kennen. Herr W. sagte mir: „Meine Frau und ich, wir sind durch ihre Krankheit wieder so richtig zusammengewachsen, wir werden das gemeinsam bis zum Ende durchstehen.“ Während dieser Zeit ist die Konzentration auf den Kranken vielen Angehörigen das größte Anliegen, sodass andere eigene Bedürfnisse auf ein Minimum reduziert werden (müssen).

Warum gerade jetzt?

„Jetzt war ich vier Tage lang ununterbrochen Tag und Nacht bei meinem Mann auf der Palliativstation, und ausgerechnet als ich kurz nach Hause gefahren bin, um mir frische Wäsche zu holen – genau in dieser halben Stunde ist mein Mann verstorben.“ Frau P. ist bestürzt und traurig. Sie sagt, sie fühlt sich „schuldig“, denn sie hatte ihrem Mann versprochen, immer für ihn da zu sein. Und genau dann, just in der kurzen Zeit, in der sie das Zimmer für wenige Augenblicke verlassen hat, ist der Tod eingetreten.
In den Abschiedsschmerz mischen sich auch noch andere, möglicherweise widersprüchliche Gefühle. Wie Frau P. haben manche Angehörigen das Gefühl, ihre Lieben im entscheidenden Augenblick „im Stich gelassen“ zu haben. Andere sind traurig, weil sie meinen, etwas Wichtiges und sehr Intimes versäumt zu haben. Wieder andere haben ein schlechtes Gewissen und schämen sich, weil sie im Grunde ihres Herzens erleichtert waren, beim Sterben nicht anwesend gewesen zu sein.

Manche Fragen bleiben offen

Die Frage nach dem „Warum gerade jetzt“ bleibt auch für uns im Team offen. Auch nach jahrelanger Erfahrung mit dem Tod lässt sich der genaue Zeitpunkt eben nicht exakt vorhersagen. Auch wir werden immer wieder überrascht. Manchmal staunen wir über die Dauer. Manche Sterbende scheinen auf einen ganz bestimmten Menschen oder ein bestimmtes Ereignis geradezu noch zu „warten“. Als wäre das Lebensziel erst erreicht, wenn alles „geordnet“ und/oder mit den „richtigen“ Menschen umgeben hinterlassen werden kann. Andere wiederum scheinen genau jenen Augenblick zu nutzen, in dem sie alleine sind, und versterben dann schneller als erwartet.

Fast alle eint das Bedürfnis nach einer letzten Schutzerfahrung

Was auf den ersten Blick ungleich aussieht, lässt sich dennoch übereinstimmend erkären. Fast alle sterbenden Menschen haben das Bedürfnis nach einer letzten Schutzerfahrung, nach einem „Aufgehoben-Sein“ in einer „haltenden Umwelt“. Sich Unbekanntem wie dem eigenen Tod annähern zu können, setzt Sicherheitsempfinden voraus. Es scheint, als könnten durch dieses „In-Beziehung-Sein“ mit einem – möglichst vertrauten – Menschen Loslösung und Abschied erst möglich und leichter erträglich sein.
Wir Menschen sind eben soziale Wesen, die sich erst durch diese Sozialität individuell entfalten und entwickeln können. Durch unsere Besonderheiten, Eigenarten und unseren unverwechselbaren Charakter ist jede und jeder von uns einzigartig. Dementsprechend kann auch unser Bedürfnis nach Nähe für unseren Weg aus dieser Welt sehr individuell sein. Manchen fällt es vielleicht leichter, wenn sie direkte körperliche Nähe spüren, während für andere eine Art „Hintergrundsicherheit“ besser passt. Um das Gefühl der Geborgenheit, Ruhe und Wärme zu spüren, ist es nicht für alle nötig, dass sich sorgende Menschen ständig im selben Raum aufhalten.
Mir ist wichtig, sterbenden Menschen diesen geschützten Rahmen anzubieten. Gemeinsam sollten wir sie darin unterstützen, dass sie diesen ganz persönlichen letzten Lebensweg auf ihre einzigartige Weise gehen können. Dann ist es gut, genauso, wie es ist.

Christine Haas-Schranzhofer, Pflegedirektorin  Tiroler Hospiz-Gemeinschaft

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